Viele sehnen sich nach Grün. Die Antwort heißt „Urban Gardening“. Bürger holen die Natur in die Stadt. Wie geht das? Von Ute Krogull, Augsburger Allgemeine am 7. April 2015. Fotos: Ruth Plössel
Die Oma, die die frisch geernteten Karotten an der Kittelschürze abstreift. Die Sommerferien im Schrebergarten. Muttis Tomatenplantage auf der Fensterbank. Es sind solche Kindheitserinnerungen, die Menschen mit in die Stadt bringen, wo sie arbeiten, wohnen – aber die Sehnsucht nach Grün in sich tragen. Mehr Grün, als selbst eine Stadt wie Augsburg zu bieten hat. Die Antwort darauf ist „Urban Gardening“. Auf Deutsch heißt das „städtisches Gärtnern“ und steht für alles mögliche vom wilden „Guerilla Gardening“ bis zu einer Art modernem, weniger reglementierten Schrebergärtnern. Auch in Augsburg gibt es unterschiedliche Ansätze, einer davon sind die gemeinschaftlichen Gärten, oft auch interkulturelle Gärten genannt, weil dort durch die gemeinsame Liebe zum Gärtnern und die gemeinsame Tätigkeit Nationalitäten, aber auch Altersgruppen zusammenfinden.
Tine Klink ist an einem derartigen Projekt beteiligt: „Grow Up“ auf dem Reese-Gelände. Auf einer Brache zwischen Theater und uniformen Neubauten sind 70 Beete entstanden, je zehn bis 15 Quadratmeter groß. Menschen aus 15 Nationen bewirtschaften sie. Deutsche pflanzen viel Salat und Kräuter, manche einfach nur Blumen, Türken Tomaten und Bohnen und die Vietnamesen Schlangenkürbis, der an Stangen emporrankt. Wenn Tine Klink erklärt, was sie am „Urban Gardening“ reizt, ist das typisch für viele: „Ich wollte immer einen Garten, aber ein Haus in der Stadt können wir uns nicht leisten, und auf dem Land zu leben, ist auch keine Option. Ich will aber gärtnern, draußen sein, das ist beruhigend.“ Das könnte die Soziologin und Künstlerin in einem Schrebergarten genauso (und sie hat auch einen), doch sie wollte mehr, nämlich „eine Form des Gärtnerns ausprobieren, die ich nicht kenne“.
Brigitte Engl von den Interkulturellen Gärten des Öko-Sozialprojekts bei der Ballonfabrik erzählt, dass Rentner, Studenten und Familien gleichermaßen mitmachen. Im Gegensatz zu „Grow Up“ sind hier noch Beete zu haben. Das liegt vielleicht daran, dass die Gärtner anfangs erst einmal den Wertach-Schotter gegen 300 Kubikmeter Muttererde austauschen mussten. „Den sozialen Freiraum, die Begegnung über gemeinsame Erfahrung und das Verbindende der Erde“ schätzt Engl an den Gärten. Damit die Gemeinschaft nicht verkümmert, hat die Initiative neben individuellen auch Gemeinschaftsbeete mit Beerensträuchern angelegt und eine Kräuterschnecke für alle.
Denn natürlich ist es mit der Gemeinschaft nicht so einfach. Größere Zwistigkeiten hat zwar keine der Initiativen durchgemacht, doch wollen die einen mehr für sich in Ruhe gärtnern, die anderen Grillfeste feiern. Der eine pflanzt Radieschen im rechten Winkel, beim anderen wuchern Wildkräuter über den Beetrand. Und Kinder gelten zwar allgemein süßer als Erdbeeren, aber nicht, wenn sie die beim Nachbarn ausreißen. Und zu den gemeinschaftlichen Arbeitseinsätzen zieht es auch nicht alle gleichermaßen…
Leichter haben es die Kunden der Familie von Dohlen. Vater und Sohn betreiben seit einigen Jahren im Bärenkeller Felder zur „Gemüseselbsternte“. 200 bzw. 390 Euro kosten die 60 und 120 Quadratmeter großen Parzellen pro Saison. Dafür ist der Boden vorbereitet, Jungpflanzen besorgen die von Dohlens auf Wunsch. Die Leute müssen nur noch pflanzen, hacken, gießen – und ernten. Oft sei die Geburt eine Kindes Anlass, mit dem Gärtnern anzufangen, meint David von Dohlen.
Die Eltern wollen es gesund ernähren, ihm aber auch zeigen, wie aus dem Samenkorn ein Kürbis wird – und wie man den dann zu Suppe macht. Er würde gerne mehr Flächen anbieten. Doch angesichts des zunehmenden Kampfes um Flächen sei das schwer. „Wer etwas hat, kann sich melden, gerne!“, sagt er.
In der Stadt, wo Böden oft (potenziell) verseucht sind, mag nicht jeder garteln. Eine Lösung sind Hochbeete, wie sie das Sozialkauhaus Contact in Haunstetten errichtet hat. Die haben den Vorteil, dass selbst Senioren, denen das Bücken schwer fällt, sie gut bewirtschaften können. Doch viele Gartenprojekte in Augsburg stehen unter dem selben Druck: Den interkulturellen Gärten bleibt eine Frist von sieben, Grow Up eine von zwei Jahren, bis die Flächen eventuell anderweitig vermarktet werden. Urban Gardening ist eher temporär – die Gartenform einer mobilen Gesellschaft, aber trotzdem: „Bei uns sind viele normale Leute aus Kriegshaber, türkische Ehepaare. Die wollen nicht wechseln“, sagt Tine Klink.
Wie schnell es gehen kann, haben Ildikó Reményi-Vogt und Benjamin Vogt von der City-Farm erfahren müssen. Ihnen hatte der Verpächter gekündigt, aktuell legen sie die neue Farm am Gablinger Weg an, schaffen einen Ort für sich, aber auch für andere, Kinder zum Beispiel, die wieder lernen, dass der Salat nicht im Supermarkt wächst. Reményi-Vogt bringt am kommenden Samstag Stadtmenschen bei, wie man Jungpflanzen aufzieht. „Wer in der zweiten Generation in der Stadt lebt, weiß das nicht mehr.“ Es gehe darum, wieder etwas mit den eigenen Händen zu tun, aber auch darum, den eigenen Lebensraum zu gestalten.
Dabei bekommen die Gärtner, die sich vor einem Jahr zwecks besserer Interessenvertretung zum Arbeitskreis Urbane Gärten zusammengetan haben, Hilfe von Amts wegen. Das Grünamt wird an mehreren Standorten Big Packs aufstellen. Das sind Pflanzbehälter aus recycelten Plastikflaschen und Pflanzenfasern, die einen Meter Durchmesser haben und mit Erde gefüllt sind. Gesucht sind Paten, die die Beete bepflanzen, pflegen, wässern.
Grünamtsleiterin Anette Vedder sagt: „Das ist ein Experiment, es sind neue Farbtupfer in der Stadt.“ Die Expertin ist zuversichtlich, dass das Experiment funktioniert, ausgeweitet werden kann, die Atmosphäre von Vierteln verändern und Bienen Nahrung bieten wird. Und sie kann sich weitere Ansätze vorstellen: eine Streuobstwiese, die ein Verein betreut, eine Börse für Baumpaten, die Senioren helfen, etwa Laub zusammenrechen – und dafür einen Teil der Ernte bekommen. „Urban Gardening ist im Aufstieg. Städte wie Berlin sind weit vorne, aber Augsburg wird schnell aufschließen“, glaubt Vedder.
Weitere Ansätze gibt es schon: Das Juze Linie 3 gärtnert mit Jugendlichen, auch Flüchtlingen, und das Quartiersmanagement Oberhausen legt neue Nachbarschaftsbeete an.